Schlecker – nicht alles war schlecht!

Man erfährt so einiges, wenn man mit Bewerbern zu tun hat. Würde ich mir in einer Stadt im nördlichen Münsterland vornehmen, die Geschäfte zu meiden, in denen die Arbeitsbedingungen mies sind, die Leute gemobt werden, ältere Menschen diskriminiert werden, dann müsste ich um die Innenstadt einen großen Bogen machen.

Umso lieber höre ich auch davon, dass es Unternehmen gibt, wo die Leute gar nicht mal so unzufrieden waren. Und dazu gehört – man höre und staune- Schlecker.

 

Gestern hatte ich wieder eine Schlecker-Mitarbeiterin in der Beratung gehabt – damit sind es jetzt um die zwanzig.

So langsam schaue ich hinter die blau-weißen Kulissen. Ich gebe es zu, auch ich war nur im Notfall Kunde bei Schlecker und – Achtung – keine der Verkäuferinnen nimmt es mir übel. Sie sagen selber, dass sie zum Teil in einem “dunklen Loch” gearbeitet haben. Welcher Kunde möchte schon in einer dunklen Ecke (und dann noch Stufen rauf) nach irgendeinem Waschpulver oder Kaffeesahne-Portionsdosen suchen? Die Kunden stimmten halt mit den Füßen ab (so wie ich). Auch preislich war Schlecker wenig attraktiv. Zahlte ich bei einem anderen Drogisten früher 11,95 für eine Dose Babynahrung, gab es hier 2 EUR Aufschlag. Viele Gründe also, sein Kauferlebnis woanders zu suchen.

Aber bei den Verkäuferinnen erlebe ich eine Solidarität mit dem Unternehmen, die mir – ehrlich gesagt – erst nicht so richtig in den Kopf wollte. War es nur das Geld? Den letzten Arbeitsvertrag einer Verkaufsstellenverwalterin (oder war es die Filialleiterin – ich bin mir gerade nicht so sicher, weil ich diese Unterlagen nicht behalte) habe ich noch vor Augen und war sehr überrascht: ca. 2200 – im Einzelhandel fast schon Traumgehalt. “Ich weiß, manchmal war es kein Gehalt, sondern Schmerzensgeld” sagte sie und berichtete mir von den Schattenseiten. Die Angst vor Überfällen, die schmerzende Blase, wenn die Aushilfe krank ist und man alleine bis Feierabend aushalten musste. Das Schlecker so viel zahlte, ist ja gar nicht mal so überraschend: “Lass die Arbeit von 2 Leuten nur eine Person machen” (ist jetzt vielleicht ein wenig überspitzt) und wir sparen trotz hoher Gehälter.

Jetzt frage ich mich, wie kommt dieser Solidaritätsgedanke zustande? Haben wir immer nur vor die, meist graue und ein wenig schmuddelig daherkommende, Fassade geschaut, die sich wie ein Algenteppich in jedes Mini-Dorf ausbreitete?

Ich erinnere mich an die Arbeit in einem Call-Center-Betrieb: Nach außen “Glanz, Gloria, wir tun alles für unsere Leute” – innen: Quotendruck, schlecht ausgebildete Vorgesetzte, Überwachungstechnik, schlechte Luft, bis vor einigen Jahren wurden bei Krankheit die Agenten um Teile des Lohns gebracht usw. Trotzdem fanden und finden viele Mitarbeiter diesen Laden absolut spitze! Naivität der Leute? Vielleicht ein bisschen…

Auch die “Schlecker-Frauen” (wird das einmal das Wort des Jahres?) trauern ihrem Geschäft hinterher. Nein, nicht wegen der Arbeitsbedingungen (jedenfalls die der Verkäuferinnen aus meiner Beratung). Es zählte vielmehr – und das mit Naivität rein gar nicht zu tun:

  • Das Team war nett (Personalauswahl funktionierte also).
  • Verantwortung gleich ab dem ersten Tag (logisch, wenn man fast allein auf weiter Flur ist – aber das ist in diesem Fall nicht negativ zu werten!)
  • Die Bezahlung tat ihr Übriges.

Das Bild vom “bösen Schlecker” muss man also ein wenig revidieren. Aber bitte nicht ganz! Richtig ist: Wer ganz oben ist, muss immer aufpassen, wie tief man fallen kann. Tücken lauern hinter jeder Ecke. Einen dicken Klecks auf der weißen Weste holte sich Schlecker schon mit der Umwandlung in “XL-Filialen”, zum Teil bestückt mit  Mitarbeiterinnen, die vor die Wahl gestellt wurden: Kündigung oder Übernahme durch eine Zeitarbeitsfirma, die eine gewisse Nähe zum Schlecker-Konzern hatte, jedoch mit deutlich schlechteren Konditionen. Der Stern begann zu sinken. Das man jetzt Gewerkschaften, die wegen dieser Machenschaften, zum Boykott aufriefen, die Pleite mit in die Schuhe schieben möchte, klingt dabei ehrlich gesagt ein wenig wie Hohn.

Expansion ist gut – Konsolidierung besser.

Das vielfach schon als “Schlecker-Prinzip” bezeichnete System der Marktpräsenz schien auch jahrelang als Heilbringer für viele Firmen: “Ist der Laden noch so klein – ein Schlecker passt noch immer rein”.

Aber das dieser Schuss nun nach hinten losging, kann man leider erst hinterher, sprich: heute, sagen. Ich habe von keinem Experten je gehört, dass er mal vor dieser Art gewarnt hat.  Bis dato war Schlecker ein, ich würde mal sagen, betriebswirtschaftliches Versuchslabor und Vorbild für viele. War irgendwo ein Ladenlokal frei, konnte man vor wenigen Jahren Wetten abschließen, wer sich dort einmietet: Entweder war es Schlecker oder ein Matratzen-Discounter oder (bei kleineren Ladenlokalen) ein Handy-Geschäft. Das rächt sich jetzt. Handyläden sprießen nicht mehr so wie Pilze aus dem Boden, da ist der Markt nun mehr als gesättigt.

Nur die Matratzen-Discounter, die eröffnen noch munter weiter in manch irrwitzigen Ladenlokalen (auch dort, wo früher mal Schlecker war). Frage ist nur, wie lange noch? Ein Trost bleibt, sie fallen weich…

Nun schließen die Schlecker-Frauen “ihren” Laden zu. Die meisten meiner Kundinnen mit gemischten Gefühlen. Denn das, was man ihnen bei Schlecker geboten hat, werden sie so schnell nicht wieder finden. Und damit ist nicht nur das Gehalt gemeint. Sie werden vielleicht größere Teams finden, schönere Geschäfte, fangen aber meistens wieder bei Null an.

Der Trost der Arbeitsagentur, dass es knapp 25.000 freie Verkäuferinnen-Stellen gibt, hilft nicht wirklich. Viele sind irgendwo in den “Karpaten”, Teilzeit- oder Minijobstellen und dann noch in völlig fremden Branchen. Eine Klientin hat tatsächlich ein Vermittlungsvorschlag der Arbeitsagentur bekommen als “Automobilkauffrau”. Ihr Reaktion: “Ich hab wohl mal Scheibenreiniger verkauft. Reicht das an Fachkenntnissen aus?”. Ihren Humor hat sie also nicht verloren oder war es Galgenhumor?

Ein weiteres Problem sind die Fachkenntnisse. Meine Klientinnen waren fast alle Quereinsteigerinnen und sind eher zufällig im Verkauf gelandet. Sich jetzt auf Filialleitungsstellen zu bewerben macht nicht viel Sinn, denn beispielsweise unter “Buchführung” verstehen sie die Führung des Kassenbuchs; “Soll an Haben” brauchte man nicht. Vielmehr sind die Arbeitsagenturen gefordert, Perpektiven zu eröffnen. Nicht eine meiner Bewerberinnen wusste, dass es die Möglichkeit der sog. “Externenprüfung” gibt, also: IHK-Prüfung ablegen ohne die klassische Ausbildung durchlaufen zu haben. Sie hätten dann wirklich den Beruf der “Drogistin”, “Verkäuferin” oder sogar “Einzelhandelskauffrau”. Jetzt entgehen ihnen Chancen!

Ich bin gespannt, was ich von der nächsten Bewerberin erfahre. Aber eines ist mir klar geworden: Irgendwas muss doch daran gewesen sein, an dem “Phänomen Schlecker”

 

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